Wandern bis zur Selbsterschöpfung - oder: Die Tutzinger Hütte

Lange habe ich auf meinem Reiseblog nichts mehr geschrieben, was daran liegt, dass ich nach meiner Alpenüberquerung 2018 tatsächlich nicht mehr unterwegs war. Privat war einiges bei mir im Umbruch, Umzug, Selbstständigkeit, da war kein PLatz für Urlaub.
Auch jetzt war ich nicht im Urlaub, aber ich war mal wieder auf einer längeren Wandertour unterwegs.
Für alle die meinen Blog zum ersten Mal lesen und hier zufällig über google gelandet sind und einen "richtigen" Reisebericht erwarten mit Streckenlänge, Höhenmetern etc., die werden hier nicht fündig.
Dieser Blog ist eher für meine Freunde und mich gedacht, damit wir uns später im Altersheim noch meine verrückten Geschichten durchlesen und dabei lachen können.
 
Nun denn, dann fange ich mal an mit meinem Wanderbericht. Als ich 2018 von meiner Alpenüberquerung super fit zurückgekehrt bin, bin ich vom Bahnhof schnurstracks in einen Buchladen gewandert und habe mir dort ein wunderschönes Hüttenbuch gekauft. Dort sind die schönsten Hütten in Bayern abgebildet, die man erwandern kann. 

 
Am Freitag fiel mir besagtes Buch wieder in die Hände, ich blätterte so durch und blieb auf der Seite mit der Tutzinger Hütte hängen.
Ich las mir die Wegbeschreibung durch und dachte mir "Da wander ich morgen hin, das sieht toll aus!".
Die Tutzinger Hütte liegt unterhalb der Benediktenwand, die sehr beeindruckend aussieht und mich ein bisschen an die Dolomiten erinnert (wo ich übrigens auch nochmal hin möchte).
 
Ursprünglich hatte ich geplant meine Tour früh zu starten, aber ich hatte am Morgen noch ein paar Dinge zu erledigen und so kam es, dass ich erst um 10:30 Uhr am Wanderparkplatz in Arzbach loswanderte.
Die Landschaft um mich herum lag noch im Hochnebel, es hatte frische 5 Grad und ich war hochmotiviert!



 
Dem Wetter entsprechend hatte ich mich angezogen und auch an Handschuhe gedacht, damit mir meine Finger nicht an den Wanderstöcken festfrieren.
Ich wusste, dass mich, umso mehr Höhenmeter ich zurücklegen würde, irgendwann die Sonne erwartete. Und so zog ich los. Die Strecke ging erst über einen Forstweg und war sehr angenehm zu gehen. Nach ungefähr einer halben Stunde stand ich vor einer Abzweigung.
Ich hatte die Wahl geradeaus, den blauen und somit einfachen Weg zur Tutzinger Hütte zu gehen, oder den roten. 
Ich wählte rot, hatte ich doch meine Alpenüberquerung im Kopf und mir gedacht "Die hast du ja schließlich auch geschafft!". JA! Die ist nun aber schon 3 Jahre her und genauso verhielt es sich auch mit meiner Kondition von damals.
Nun, ich hatte rot gewählt und wanderte weiter. Irgendwann wurde der Weg schmaler, es ging erst durch den Wald, dann an einer kleinen Geröllpasssage vorbei, ein paar Felsen mussten überwunden werden und dann stand ich vor einem kleinen Wildbachwasserfall, der mittels Drahtseil überquert werden wollte. Ich griff besagtes Seil und machte den ersten Schritt und dann den zweiten, der war aber irgendwie nicht so gut durchdacht, denn da wo ich nun plötzlich stand kam ich nicht mehr weiter. Zurück kam ich auch gerade irgendwie nicht, weil um meine Schuhe das Wasser toste, es war rutschig und ich hing da am Seil (zum Glück hat mich niemand gesehen!!!). An dieser Stelle möchte ich erwähnen, wie dankbar ich über meine mega Wanderschuhe bin, die ich mir damals während meiner Überquerung gekauft habe. Ich hing da ca. 20 Sekunden (und ja, die können echt lang sein, wenn man im Wasser steht!) planlos an diesem Seil und wusste nicht, wie ich da  nun weiter kommen sollte und ich hatte immer noch trockene Füsse!
Irgendwie ist es mir dann doch gelungen, mich aus diesem komischen Wasserfall zu befreien, jedoch nicht ohne mir irgendwas leicht an der rechten Hüfte zu zerren.
Keine Ahnung, was ich da gemacht habe, offensichtlich eine komische Bewegung, auf jeden Fall merkte ich danach bei jedem weiteren Schritt ein leichtes ziehen.
Egal, jetzt wird weiter gewandert, dachte ich mir.
Ich fand den roten Weg deshalb auch besonders toll, da er so einsam war. Während meiner Wanderung traf ich kaum andere Menschen und wer mich kennt, der weiß, ich wandere sehr gerne dort, wo sich nicht die Menschenmassen mit ihrem Ghettoblaster hochbewegen.
Nach insgesamt zweieinhalb Stunden Wanderzeit lichtete sich der Hochnebel endlich und die Sonne strahlte mir entgegen. Das Herbstlaub der Bäume leuchtete so schön im Licht der Sonne, ich konnte mich an diesem Anblick gar nicht sattsehen. Oben war ich da aber noch lange nicht.

 
An der Probstalm (unbewirtschaftet, da Privathütte), machte ich eine kurze Rast, bevor ich mich weiter an den Aufstieg machte.

 
Umso höher ich kam, umso frostiger wurde es. Die Vegetation um mich herum war gefroren und die Sonne stand nicht hoch genug und war hinter einem der Berge, so dass ich im Schatten und somit auch durch die Kälter weiter wandern musste.
Der Aufstieg verlangte mir dann so ziemlich alles ab. Ich merkte, dass ich so langsam ans Ende meiner Kräfte kam, hielt aber tapfer bis zum Gipfel durch.
Oben angekommen hättet ihr mein Gesicht sehen sollen.
Mittlerweile war ich 4 Stunden unterwegs, ich hatte Hunger und war kaputt und ich hatte erwartet, dass oben angekommen nun die Hütte in Sicht wäre, aber da war N I C H T S!
Also gut, dass stimmt so nicht, ich hatte einen wirklichen fantastischen Ausblick über die Berge, der ließ mich einen Augenblick meinen Schock, dass es keine Hütte gab, vergessen.



 
Aber irgendwann ist auch der schönste Ausblick nicht mehr so viel wert, wenn man hungrig ist und sich hinsetzen möchte. Mein Blick fiel auf ein gelbes Wanderschild. Dort angekommen, zeigte es mir, dass ich nun 30 Minuten abzusteigen hätte um an die Tutzinger Hütte zu kommen.
Zu dem Zeitpunkt schmerzten meine Knie schon, weshalb ich für den Abstieg auch eine volle Stunde benötigte. Mittlerweile war es 15 Uhr und ich hatte die Hütte erreicht.




 
Jedoch, bevor ich die Hütte betrat, warf ich einen Blick auf das Wanderschild, welches mir den Rückweg anzeigte und da standen 4 Stunden.
Normalerweise war es mein Plan gewesen, auf der Hütte vernünftig zu essen und dann weiter zu wandern, nun war mir doch etwas mulmig zu Mute in Anbetracht der fortgeschrittenen Uhrzeit.
Ein kurzer Smalltalk mit einem der Hüttenmitarbeiter über meinen anstehenden Rückweg, ließ auch noch den letzten Rest vorhandenen Mutes verschwinden, denn dieser fragte mich, ob ich eine Taschenlampe mit hätte! Ich hatte eine Powerbank, ein Ladekabel und mein Telefon mit dabei (immerhin!) und mein Telefon hat eine Taschenlampe. So sagte ich ihm das auch und er erwiderte daraufhin "Das ist gut! Dann bist du vorbereitet!" Und ich dachte mir "Das ist Scheisse! Ich bin überhaupt nicht vorbereitet! Ich will nicht alleine im Dunkeln durch die Berge oder den Wald laufen!".
Aufgrund dieses Gedankens wählte ich auch mein Essen aus: Zwei Stücke Eierlikörkuchen und eine Rhabarbersaftschorle, für alles andere hatte ich leider echt keine Zeit.
Wer mich kennt, der weiß, ich esse sehr langsam.
Die zwei Stück Kuchen sog ich förmlich in mich hinein und genauso verhielt es sich mit der Saftschorle. Innerhalb von 15 Minuten hatte ich alles in mich hineingekippt und gestopft und machte mich schnellen Schrittes auf den Rückweg.
Dem Schild folgend ging es bergauf. Und wie es bergauf ging! Nach 30 Minuten konnte ich wirklich nicht mehr, der Kuchen und die Schorle drohten damit wieder nach draußen zu wollen, wenn ich weiter so den Berg hinaufhechtete und meine Muskeln meuterten ebenfalls schon aufgrund der Überlastung.
Und so stand ich schnaufend am Berg und erblickte vor mir ein Schild "Zwieselberg". Ich schluckte und dachte mir "mmmhhh, komisch, den hast du auf deiner Wanderkarte gar nicht bemerkt". Böses ahnend, warf ich nun mal, vorsichtshalber, einen Blick auf meine Karte, konnte aber diesen blöden Zwieselberg nicht finden. Dann schaute ich auf die Uhr - kurz nach 16 Uhr. Ich merkte, wie Panik in mir hochkam. Ich versuchte noch die irgendwie wegzuatmen, aber plötzlich sah ich mich vor meinem geistigen Auge im Dunkeln da in den Bergen herumirren und nicht zurückfinden. Und so rief ich in meiner aufsteigenden Panik einen Freund an. Ihm erzählte ich von meinem Dilemma, dass ich wahrscheinlich den falschen Weg gewählt hatte und nun nicht da sei, wo ich eigentlich hin müsste und das es ja schon so spät sei und ich zudem jetzt schon völlig am Ende meiner Kräfte und ob er wohl wüsste ob ich hier richtig sei? Ja, woher er das denn nun wissen solle, er wäre auch noch nie da gewesen! Ich fragte ihn, ob er mich holen könne. Verwirrt fragte er, wie ich mir dass denn vorgestellt hatte? Nun, ich hatte mir in meiner Panik vorgestellt, dass er, weil er sonst der Speedy Gonzalez in den Bergen ist, mal eben den Berg hier hochläuft und mich abholt!
Oh man, im nachhinein muss ich selber über diesen Anruf lachen. Panik lässt einen manchmal wirklich unüberlegt handeln und vor allem unlogisch.
Als er mich also meiner Illusion beraubte, dass er mich nicht mal eben dort abholen könnte, weil er selbst gerade unterwegs war, riet er mir zurück zur Hütte zu laufen, dort könne man dann ja die Bergwacht rufen, wenn ich am Ende meiner Kräfte wäre.
Das mit der Bergwacht wollte ich auf keinen Fall! Ich hatte mich selbst auf diesen Berg gebracht, also bringe ich mich selbst da auch wieder runter und belästige damit nicht die Bergwacht.
Wir legten auf und ich rief nun bei der Hütte an um nachzufragen, ob ich dort, wo ich war, richtig war. Leider konnte mir das aber niemand beantworten und für Experimente war nun echt keine Zeit mehr.
So riet mir der Mann von der Hütte wieder dorthin zurückzukommen und den Abstieg nach Benediktbeuren zu nehmen, von dort könnte ich mir ein Taxi nehmen.
Vielleicht fragt sich der ein oder andere jetzt, warum ich nicht einfach den gleichen Weg zurückgegangen bin, den ich auf dem Hinweg genommen hatte, denn den kannte ich ja schließlich!
E B E N! Genau das war ja das Problem, ich kannte den Weg und wusste dass ich den Abstieg über den Weg nicht schaffe und spätestens im Dunkeln am Wildbachwasserfall scheitere und dort in den Fluss stürze.
So hörte ich auf den Hüttenmann und machte mich auf den Rückweg zur Hütte um dann den Abstieg Richtung Benediktbeuren zu wählen.
Ich bin in meinem Leben noch nie so schnell abgestiegen, wie gestern.
Zeitweise bin ich im Stechschritt durch den Wald und alles nur, weil ich die Sorge im Nacken hatte, dass es bald dunkel wird.
Zwischenzeitlich habe ich wirklich gedacht, ich schaff die Strecke nicht mehr. Meine Knieschmerzen waren so heftig, ich musste die Zähne zusammenbeißen und diese blöde Hüftsehne!
Es gab Phasen da hättet ihr mich fluchend durch den Wald gehen sehen. Mit mir selbst schimpfend, wie ich mich so überschätzen konnte. Älter geworden und trotzdem nichts aus meinen bisherigen Erfahrungen gelernt. Wider so eine typische Frau Matthies-Aktion!
Kurz geheult habe ich auch mal, so ehrlich will ich sein, weil ich noch nie so am Ende war!
Keine meiner Passagen während der Alpenüberquerung hat mich so gefordert, mich so an meine körperlichen Grenzen und darüber hinaus gebracht, dagegen war der Abstieg von der Braunschweiger Hütte ein Lachsack.
Am Ende meiner Tour bin ich 34.000 Schritte gegangen und ich hatte über 5.000 kcal verbrannt - das hat selbst die Überquerung nicht geschafft an einem Tag.
Nun noch das Taxi rufen! Ich hatte Sorge, dass es so wird, wie meine Taxierfahrung in Prien am Chiemsee. Dort ist es nämlich so: Wenn man am Bahnhof ankommt am Freitag- oder Samstagabend, dann kann man Glück haben, wenn dort ein Taxi steht. Wenn nicht, dann ruft man die Taxizentrale an und während man dort anruft, fängt die Telefonzelle die ein paar Meter neben einem steht, an zu klingeln. Man wartet also, dass jemand von der Taxizentrale bitte endlich den Höhrer abnimmt und wundert sich währenddessen wieso die blöde Telefonzelle bimmelt. Nachdem bei der Zentrale keiner abhebt, wählt man genervt die nächste Taxinummer und stellt fest, dass die Telefonzelle kurz aufgehört hat zu bimmeln und nun wieder bimmelt. Wenn man dann den Hörer der Telefonzelle abnimmt, hat man sich selbst am Telefon und kann nach einem Taxi fragen, dass hilft dann nur nix ;).
Verrückt oder? Aber das ist wirklich wahr. Ich konnte das auch gar nicht glauben, aber die Taxinummern sind mit dieser Telefonzelle verbunden und wenn dort kein Taxi steht, kann halt auch keiner rangehen und so konnte ich zu Fuß nach Hause gehen.
In Benediktbeuren gibt es zum Glück Taxifahrer die ein Handy haben und dieses auch benutzen.
Ich war sehr dankbar als ich abgeholt wurde. Mein Auto stand 20 Kilometer entfernt, bis dahin hätte ich es nicht mehr geschafft.


 
Zuhause angekommen konnte ich mich nicht mehr richtig bewegen, ich schlurfte quasi über den Boden und schaffte es gerade noch in die Wanne und dann ins Bett. Ich hatte mich so auf einen erholsamen Schlaf gefreut, aber daraus wurde leider nichts. Ich hatte solche Knieschmerzen das ich alle zwei Stunden aufgewacht bin, weil ich nicht mehr wusste wie ich liegen sollte.
Im Laufe des heutigen Tages wurde es aber Stunde um Stunde besser.
Und was lernen wir aus dieser Geschicht? Genau: Alter schützt vor Dummheit nicht!
Vorerst werde ich mich nun auf die blauen Wanderwege konzentrieren und mich erstmal wieder einwandern, damit ich dann auch die nötige Kondition für die roten Wege habe.

Liebe Grüße

Eure Nadine
 

Kommentare

Beliebte Posts aus diesem Blog

Der "erste" Berg!

Venet Gipfelhütte - Wenns